Wien, 1819: Wien ist auf dem Weg zur Industriemetropole. Deshalb muss der öffentliche Raum vor Allem eines: die baulichen Anforderungen der Industrie erfüllen, d. h. ausreichende Straßenbreiten für Pferdefuhrwerk und Straßenbahn gewährleisten.

Wien, 1859: Mit dem Ringstraßenbau erhält der öffentliche Raum Symbolfunktion. Denn der neue Boulevard steht für die wirtschaftliche und politische Macht der kaiserlichen Residenzstadt Wien und dient zugleich der Zurschaustellung einer bourgeoisen Elite – sehen und gesehen werden.

Wien, 1919: Im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit wird der öffentliche Raum zur öffentlichen Aufgabe. Vom Gänsehäufel bis zum Karl-Marx-Hof – die lokale Politik trägt dafür Sorge, dass alle Bevölkerungsteile Zugang zu Grün- und Freiraum erlangen. Unter dem Motto der Gleichheit steht öffentlicher Raum erstmals für ein gesellschaftspolitisches Ziel.

Wien, 1939: Im Nationalsozialismus soll der öffentliche Raum die Stärke des Deutschen Reichs demonstrieren und zugleich von militärischem Nutzen sein. Bestes Beispiel ist die geplante, gigantische Aufmarschachse quer durch den 2. Bezirk bis über die Donau. Wenngleich kaum welche der Ideen ihre Umsetzung finden, bleibt die Zerstörung einer urbanen öffentlichen Sphäre nach dem Krieg zurück.

Wien, 1969: Die Bevölkerung fordert Mitsprache in der Stadtplanung ein. Statt „Abreißen, Neubauen“ sollen Orte des öffentlichen Stadtlebens geschützt werden. Dass Experte und BürgerIn ganz Unterschiedliches im öffentlichen Raum erkennen können und es darüber eine Aushandlung braucht, wird damals deutlich. Die heutige Arena im 3. Bezirk ist herausragendes Beispiel dieser Phase zivilen Aufbegehrens.

„Arenabesetzung 1976“ (Bildquelle: ÖNB/Wien, Inventarnummer: FO504501/04/13 © Fritz Kern)

Wien, 1989: Ein neues Europa entsteht und damit eine neue Aufgabe des öffentlichen Stadtraums: international zeigen, was man in Wien zu bieten hat. Und zwar mit Events auf repräsentativen Plätzen, die auch eine Diskussion über die Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums eröffnen. Ein Beispiel unter vielen ist das Wiener Museumsquartier, dessen halböffentlicher Aufenthaltsraum zur eigentlichen Attraktion des Museumskomplexes für BewohnerInnen wie TouristInnen geworden ist.

„Karlskirche, Popfest 2011“ (Fotograf: Manfred Werner | CC BY-SA 3.0)

Wien, 2019: Vielfältig wie die Stadt selbst ist auch der öffentliche Raum heute. Und mehr denn je spiegeln sich in den Fragen um seine Gestaltung unsere gesellschaftlichen Debatten wider: Tradition und Fortschritt, Offenheit und Sicherheit, Diversität und Inklusion. Karlsplatz und Praterstern, Yppenplatz und Seestadt sind allesamt Aushandlungsorte urbanen Lebens, das auch im öffentlichen Raum stattfindet. 

Autor:
Johannes Suitner, Stadtforscher
Institut für Raumplanung, TU Wien

Header-Bild: MA18/Christian Fürthner


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